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MANN IST MANN
von Bertolt Brecht
Der Packer Galy Gay möchte einen Fisch kaufen. Das Wasser ist aufgesetzt. Die Aufgabe klar. Doch Galy Gay kann nicht nein sagen. Er trifft auf die Witwe Begbick, die ihn überredet, statt eines Fisches eine Gurke zu kaufen. Eine Gruppe marodierender Soldaten beobachtet die Szene. Sie haben bei einem Einbruch in eine Pagode einen Mann verloren. Doch der Appell beim gefürchteten Sergeant, dem Blutigen Fünfer, naht. Ersatz muss her! Sie überreden Galy Gay, nur kurz für diesen einzuspringen, doch als der Kamerad weiterhin verschwunden bleibt, verwickeln sie ihn in ein dubioses Geschäft mit einem Elefanten. Arglos tappt er in die Falle und steht vor der Wahl, als Betrüger erschossen zu werden oder fortan als Soldat zu dienen. Die Züge transportieren die Armee nach Tibet und Galy Gay zieht in den Krieg: Ein Soldat, ein Werkzeug, eine Kriegsmaschine mit Marschbefehl.
Brecht zeigt in seinem 1926 uraufgeführten Lustspiel eine Logistik des Identitätsverlusts. Der Mensch ist formbar – und schlimmer noch: Er will es sein. Er passt sich an. Erst den Namen, dann das Hemd, dann die Haltung. Das eigene Denken überdeckt vom Gleichklang der Masse. Der Mensch wird ein Teil des Apparats – ein Rädchen, das gehorcht. Zusammengehalten durch eine Uniform, legitimiert durch eine Marke und den Pass. Doch wer bin ich jenseits meiner Verwendbarkeit?
Die Austauschbarkeit des Einzelnen ist im Zeitalter der Massen - massenhaft Arbeitslose, massenhaft Flüchtlinge, massenhaft Hungernde, massenhaft Infizierte, massenhaft Soldaten, massenhaft Touristen - Voraussetzung für die industrielle Entwicklung, Ausbeutung der Erde und Unterwerfung fremder Völker. Auf den Charakterkopf, wie Brecht es nennt, kommt es nicht an.
Kapitalismus duldet keinen Stillstand. Die endlosen Züge, Transportmittel für Waren, Soldaten, Arbeitskräfte. Maximale Flexibilität wird von jedem Einzelnen erbarmungslos eingefordert, wirkt bestimmend auf die menschlichen Beziehungen. Kameraderie hält nur so lange, bietet nur so lange Schutz wie der Einzelne in der Masse steht, die ständig in Bewegung ist. Innehalten? Fehlanzeige. Jenseits vom Corps gibt es keine Freundschaft. Wer beim Pfiff nicht auf den Zug springt ist draußen, Rückkehr ausgeschlossen.
In einer Gegenwart, in der Identitätsangebote schillern, Rollen wechseln, Zugehörigkeit fragil geworden ist, wirkt MANN IST MANN wie ein finsterer Kommentar: zur Formbarkeit des Menschen, zu seiner Bereitschaft, sich dem Druck zu beugen in einer Welt, die Uniformen braucht, keine Menschen.
Es stellt sich die Frage: Wann habe ich im gesellschaftlichen Gefüge, in das ich verstrickt war, eigentlich aufgehört, genau zu prüfen, den inneren Einwänden zu folgen, auch wenn die Überzeugung auf dem Spiel stand; wann habe ich aufgegeben, fremde Einflüsterungen als solche zu empfinden; wann habe ich nachgelassen, Verunsicherungen ernst zu nehmen; wann habe ich begonnen, unter Verweis aufs Große und Ganze eigene Beschädigungsspuren schönzureden?
Das aufBruch-Ensemble bestehend aus Ex-Gefangenen, Freigängern und einer Schauspielerin, erzählt in diesem Sommer die Geschichte des Mannes, der nicht nein sagen kann, auf der verwilderten Gustav-Böß-Freilichtbühne in der Jungfernheide.
So eine kleine Gefälligkeit unter Männern kann nie schaden.
Eine Open-Air-Theaterproduktion von aufBruch in Kooperation mit dem Kulturbiergarten Jungfernheide
Es spielt ein gemischtes Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten und einer Schauspielerin: Christian Krug, Juliette Roussennac, Jörg, Matthias Blocher, Max Sonnenberg, Mohamad Koulaghassi, Norman, Oliver, Ronny Mock, Sadam, Steffen, Sven-Eric.
Regie Peter Atanassow Bühne Holger Syrbe Kostüme Esther Lüchtefeld Dramaturgie Franziska Kuhn Musikalische Leitung Vsevolod Silkin Produktionsleitung Sibylle Arndt Regieassistenz Sarina Eckhoff Produktionsbegleitung Jessica Schallat Grafik Dirk Trageser
Gefördert aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.
In Kooperation mit dem Kulturbiergarten Jungfernheide, der JVA OV Berlin, der JVA Tegel und dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf.
aufBruch wird unterstützt durch den Verein der Freunde und Förderer des Gefängnistheaters in Berlin e.V. und zahlreiche private Spenderinnen und Spender.
Fotos: Mark Schulze Steinen
Jede Art der Verwendung nur nach vorheriger Genehmigung durch aufBruch
Pressestimmen

Kriegsertüchtigung im finsteren Wald
Das Gefangenentheater aufBruch in Berlin hat mit Brechts „Mann ist Mann“ eine schrille Komödie zum aktuellen Mobilmachungsdiskurs inszeniert
von Tom Mustroph
Probe zu "Mann ist Mann" des Gefängnistheaters Aufbruch
Im Gefängnistheater "Aufbruch" stehen Häftlinge als Schauspieler auf der Bühne. Nun inszeniert das Projekt im Freilufttheater Jungfernheide Bertolt Brechts "Mann ist Mann".
von Nele Freiding

Brechts „Mann ist Mann“ auf der Freilichtbühne
Bertolt Brechts frühes Lustspiel „Mann ist Mann“ legt in der Inszenierung von Peter Atanassow den Fokus auf soldatisches Mitläufertum und militärischen Konformismus.

Berliner Theater feiert Premiere – plötzlich steht ein Elefant auf der Bühne
Das Berliner Gefangenentheater „aufBruch“ feierte am 27. August eine weitere Premiere – mit Überraschungen und unter tosendem Applaus.
von Jana Wengert

Ein Mann geht aus dem Haus – und landet an der Front
Wovon soll sich ein Mann fremdbestimmen lassen? Von seiner Frau, vom Staat oder lieber vom Militär? In Brechts „Mann ist Mann“ fragen sich die Häftlinge des Berliner Knasttheaters, wie ein Mensch zur Kampfmaschine wird. Die Antwort ist erschreckend einfach.

Brechts Parabel von der Verwandlung des Packers Galy Gay in den Militärbaracken von Kilkoa als witzig-ironisches Freilufttheater

Spielort:
Gustav-Böß-Freilichtbühne in der Jungfernheide
Zugang über:
Kulturbiergarten Jungfernheide
Heckerdamm 274
13627 Berlin.
BITTE DER AUSSCHILDERUNG FOLGEN
Anfahrt:
U7 „Halemweg“
zzgl. 20 Minuten Fußweg