Chronik
DIE HERMANNSSCHLACHT
nach Christian Dietrich Grabbe
Hermann, dem Cherusker, gelingt im Jahre 9 im Teutoburger Wald das Unmögliche: mit partisanischer List lockt er die übermächtigen römischen Besatzer in den Hinterhalt unwegsamer germanischer Wälder, wo er vereint mit den bislang zerstrittenen Stammesfürsten die Legionen des Varus vernichtend schlägt. Im Siegesrausch holt Hermann zum Angriff gegen Rom aus, doch die germanischen Stämme verweigern ihm die Gefolgschaft.
Hermann, einst als Geisel nach Rom gebracht, wurde dort zum Feldherrn Arminius ausgebildet. Nach außen Römer, bleibt er doch Germane und geht als Held und Einiger in die deutsche Geschichte ein. Ende des 19. Jahrhundert erheben ihn deutsche Intellektuelle zum Sinnbild germanischer Vitalität und kämpferischer Überlegenheit.
Die Inszenierung im Innenhof der JVA Tegel setzt nach fast zehn Jahren Pause die aufBruch-Tradition des spezifischen Sujets „Freiluftgefangenentheater“ mit großen historischen Stoffen fort. Nach Spartacus, Nibelungen, Kohlhaas, Kain und Abel folgt mit „Die Hermannsschlacht“ aus der Feder Christian Dietrich Grabbes jetzt ein radikales Freiheitsdrama. Es galt lange als unspielbar aufgrund seiner ideologischen Vereinnahmung, seiner extremen Zeitsprünge, holzschnittartiger Figuren und seiner fast filmischen Dramaturgie.
Entstanden 1836 nach dem Deutschen Trauma der napoleonischen Fremdherrschaft, findet das Motiv des Einigers unterdrückter Völker gegen koloniale Übermacht seinen Widerhall auch in der jüngeren Geschichte.
Das Gefangenen-Ensemble schlägt mit dieser Inszenierung eine Brücke aus dem Jahre 9 hinein ins 20. Jahrhundert, in dem trotz ökonomischer Abhängigkeit und Entmündigung der Völker des Trikont der Freiheitsgedanken nicht erstickt werden konnte.
Wo liegt das Deutschland eigentlich?
Es spielt das Gefangenenensemble der JVA Tegel: Adrian Zajac, Angelo, Atak, Frank T., H. Peter Maier C.d.F., Horst Grimm, Hussein, Ivan, Koray, Luis F., Mad Man, Mladen, Maurice, Nicolas, Paul E., Picasso, Sven-Eric, Tarek M.
Regie Peter Atanassow Bühne Holger Syrbe Kostüme Esther Lüchtefeld Dramaturgie Hans-Dieter Schütt Musikalische Leitung Vsevolod Silkin Choreographie Ronni Maciel Produktionsleitung Sibylle Arndt Technische Assistenz Petros Mandalos Grafik Dirk Trageser Mitarbeit Franzi Kuhn
Tickets: 15 € / 10 € (ermäßigt)
Kartenverkauf ab Samstag, 28. Mai 2022 um 11 Uhr
oder an der Kasse der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Gefördert durch Zuwendungsmittel der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung.
Unterstützt durch die JVA Tegel, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Fotos
Fotos: Copyright Thomas Aurin.
Jedwede Verwendung nur nach vorheriger Genehmigung durch aufBruch / Thomas Aurin
Pressestimmen
Feind ist immer der, der einem im Weg steht: Christian Dietrich Grabbes "Hermannsschlacht" in der JVA Tegel
"Und so hebt die Inszenierung nach und nach die klaren Frontstellungen auf. Ein Pulk vermischt sich mit dem anderen. Wer ist hier eigentlich der Feind? Wie Heiner Müller über "Hamlet/Hamletmaschine" sagt, sein Platz darin sei auf "beiden Seiten der barrikade". Feind ist immer der, der einem plötzlich im Weg steht. Hermann, der spätere deutsche Nationalheld, kämpft auch gegen einen Teil von sich selbst, vielleicht den besseren. Aber er siegt, und das enthebt ihn für den geschichtlichen Augenblick aller Fragen. Die Inszenierung holt dies nach. Was soll man von jemandem halten, der zwar verspricht, für Selbstbestimmung zu stehen, das Recht, so zu sein, wie man ist (als Einzelner oder auch als Volk), wenn es sich dabei um einen Psychopathen handelt?
Jeder weiß, im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, blühen die interessengeleiteten Lügen auf wie Sumpfblumen. Die unablässige Rede von der Heimat, der jedes Opfer zu bringen (auch das eigene Leben) eine Ehre ist, wird zur Waffe. Aber was, wenn diese Heimat sich feindlich zu einem verhält? Es immer auch ein Krieg der Worte, den Grabbe hier vorführt. (...) Hermann der Cherusker ist, so lässt diese bemerkenswerte Inszenierung vermuten, vielleicht bloß ein Vehikel, dessen sich der Weltgeist für seine Zwecke kurzzeitig bediente, und kein Mythos für Jahrtausende."
Resozialisierung durch die Hintertür: Theaterpädagogik für Häftlinge
Beim Gefangenentheater geht es um theaterpädagogische Resozialisierung. Allerdings kommt die Sozialtherapie „durch die Hintertür“ – zunächst einmal sollen Häftlinge Selbstwirksamkeit spüren.
Spielort:
Justizvollzugsanstalt Tegel - Freistundenhof der ehemaligen TA III
Seidelstraße 39
13507 Berlin
Anfahrt:
U-6 Otisstraße oder Holzhauserstraße