Workshops
Aus dem Nichts II
Schreibwerkstatt in der JVA Moabit
Von Ende Februar bis Ende April 2017 bot aufBruch unter der Leitung der Autorinnen Caren Jeß und Mariana Leky eine weitere Schreibwerkstatt in der JVA Moabit an. An dem dreimonatigen Workshop nahmen acht Inhaftierte teil. Sie trafen sich zweimal wöchentlich jeweils drei Stunden im Gruppenzentrum der JVA Moabit.
Die Aufgabestellungen waren äußerst vielseitig und führten von autobiografischen Berichten bis zur Erfindung von Fantasiegeschichten. Verschiedenste Schreibformen wurden kennengelernt und nach ersten allgemeinen, kreativen Schreibübungen wurden entdeckte Stärken der Teilnehmer durch individuelle Aufgaben gefördert. So entstand bei einigen der Teilnehmer im Verlaufe des Workshops vor allem Lyrik, während sich andere ausgiebiger im Bereich Comedy oder Fantasy erprobten.
Das breite Repertoire an erschaffenen Texten wurde in einem Büchlein zusammengestellt und gedruckt. Dieses wurde als Lesung in einer Abschlussveranstaltung vor Gästen aus der Anstalt und von „draußen“ präsentiert.
Gefördert durch den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung – Fördersäule 2
Unterstützt durch JVA Moabit
Entstandene Texte (Auswahl)
Synästhesie
Traurigkeit spricht nicht in Worten, sie spricht mit Tränen und Schweigen.
Traurigkeit spricht ohne Ton und ohne Tempo; und im Gegensatz zur Trauer klagt sie nicht. Sie ist wie ein tiefer See, nicht wie ein Fluss.
Kummer lebt im Verborgenen und kommt nur sehr selten ans Tageslicht.
Kummer lebt in einer tiefen, dunklen Höhle.
Kummer lebt im Herzen und im Kopf. Er lässt einen vorerst nicht los.
Freiheit hat viele Gerüche: Sie riecht nach Meer, Land, Gebirge, aber auch nach Kuhmist, Auspuffen und Knoblauch.
Freiheit riecht frisch und klar und würzig, eine Mischung vom Atem der Berge, dem Geruch von Tannennadeln und dem Hauch eines Schneesturms.
Wie Freiheit riecht, habe ich vergessen. Aber ich denke, sie riecht nach Autoabgasen und hin und wieder nach Blumen.
POST FÜR KINDER
Lieber Sinobeats,
ich bin’s. Der Sinobeats aus der Zukunft.
Ich weiß nicht, wann dieser Brief dich erreichen wird, denn die Zeitmaschine macht Faxen.
Ich hoffe, du kannst schon lesen. Wenn ja, lies diesen Brief niemandem vor.
Was ich dir sagen will: Pass bloß auf dich auf und geh zur Schule, steh sie durch und bau keine Scheiße. Lerne für gute Noten und höre auf Mama und Baba. Denn Baba wird herzkrank und Teddy wird sterben.
Und fang mal bloß nicht an zu rauchen mit Danny. Falls doch: Dann brauchst du nicht hinterm „Kaufland“ rauchen. Checkt eh keiner. Wirst ja auch Kaugummis dabeihaben.
Kiffen ist eine ganz schlechte Idee. Dann verschläfst du nur die Schule und gehst erst immer kurz vor Schulschluss hin. Glaub mir: Das hatte ich schon, das willst du nicht haben.
Übrigens: Du wirst Selim kennenlernen, den Freund von Tarik. Wenn du mit ihm zusammen bist, geh bloß nicht auf seine Ideen ein. Wirst erwischt, endest in Bewährung. Vorher U-Haft.
Lass das mit den kleinen Sachen. Mach was Großes. Oder geh arbeiten.
Pass auf dich auf und grüße alle.
Dein Sinobeats
JETZT
In diesem Augenblick macht ein Hase ein Wettrennen mit einem Igel
In diesem Augenblick geht jemand über eine Brücke
In diesem Augenblick hat jemand Sex
In diesem Augenblick sterben tausend Menschen an Hunger
In diesem Augenblick kifft ein Knacki in Moabit
In diesem Augenblick bauen zwei Vögel ein neues Nest
In diesem Augenblick lassen die starken Männer ihre Knöchel knacken
In diesem Augenblick wünsche ich mir Alpecin
In diesem Augenblick spannt sich ein unsichtbarer Bogen
In diesem Augenblick wünsche ich mir eine mildere Hausordnung
In diesem Augenblick spielt dieser Augenblick irgendwo gar keine Rolle
In diesem Augenblick atmet die Hälfte aller Menschen aus
In diesem Augenblick schlägt mein Herz, ohne sich stoppen zu lassen.
Fotos
Fotos: aufBruch
Jede Art der Verwendung nur nach vorheriger Genehmigung durch aufBruch
Ort
JVA Moabit
Alt-Moabit 12 A
10559 Berlin
Anfahrt: S Bellevue