Workshops

Aus dem Nichts III

Schreibwerkstatt in der JVA Moabit

Zeitraum: Februar - April 2018

Die aufBruch-Schreibwerkstatt in der JVA Moabit unter Leitung der Schriftstellerin Mariana Leky fand bereits zum dritten Mal statt. Eine Gruppe Inhaftierter traf sich von Februar bis April 2018 zwei Mal wöchentlich, um ihre  Gedanken in Worte zu wandeln. Anhand vielfältiger Schreibübungen, sind erneut  facettenreiche biografische Berichte und Fantasiegeschichten entstanden. Dieses  Mal galt es zudem Sprachbarrieren in Wort und Schrift zu überwinden. Der gesamten Gruppe wurde damit ein hohes Maß an Sensibilität und Geduld abverlangt. Die Teilnehmer unterstützten sich gegenseitig ausnahmslos, sodass  alle die Chance bekamen, sich in ihren Worten bzw. sogar in ihrer Muttersprache auszudrücken. Dank engagierter Unterstützer und in Rücksprache mit den Autoren ist es aufBruch gelungen, auch bosnische und französische Texte ins Deutsche zu übersetzen und den jeweiligen Inhalten so nahe wie möglich zu kommen.

Das bunte Potpourri von Tragik-Komik, Einsamkeit und Erfindergeist findet sich nun gebunden in einer dritten Ausgabe „Aus dem Nichts“. Den Abschluss der Schreibwerkstatt bildete eine Lesung mit Auszügen aus den entstandenen Texten vor geladenen Gästen von „draußen“ sowie vor Mitinhaftierten und MitarbeiterInnen der JVA.

Unterstützt durch JVA Moabit

Entstandene Texte (Auswahl)

Blick aus dem Fenster

Ich öffne mein Fenster, um hinaus zu schauen, und es ist ein Schock - weil ich alles sehe, was ich nicht sehen konnte, als ich frei war. Ich sehe Gitterstäbe und habe große Lust, sie aufzubiegen, aber ich schaffe es nicht, weil diese kleinen Gitterstäbe mein großes Herz und meine große Seele einschließen wollen, die beide bei den Sternen weilen, sie schweben neben dem Mond. Sie umarmen den Merkur, sie spielen mit der Venus, sie grüßen den Mars. Sie laufen zusammen mit Jupiter bis zum Saturn, vorbei an Uranus und Neptun. Dann kehren sie zurück zur Erde, um ihr zu sagen, dass das Leben schön ist.
"Du musst nur verstehen, Dhoura", sagt mein Herz, "diese Gitterstäbe sind eigentlich zu schwach, um dich einzuschließen. Du kannst sie durchbrechen, du musst es nur versuchen."
Ich frage: "Also, mein großes Herz: Welche Farbe hat meine Seele?"
Es antwortet, ohne zu zögern: "Ich bin transparent und ich schaffe es, alles was du siehst und alles, was du nicht siehst, zu verinnerlichen. Alles was du liebst und auch, was du nicht liebst." Und dann sagt es: "Versuche anders aus dem Fenster zu blicken und sag mir was du siehst." Ich antworte: "Ich sehe mein Fenster mit den Gitterstäben, einen kleinen Hof, ein kleines Gebäude, eine hohe Mauer, Stacheldraht, Überwachungskameras, einen Wachturm und einige kleine Bäume."
"Ist das alles, was du siehst?", fragt mein Herz, "oder ist das alles was du sehen kannst?"
"Es ist alles, was ich sehen kann", antworte ich.
Mein Herz fragt, warum ich überhaupt das Fenster öffne. Ich sage: "Um Luft zu bekommen."
"Hast du schon mal Luft gesehen?", fragt mein Herz.
Ich antworte: "Nein."
"Und trotzdem brauchst du sie, um zu leben", sagt mein Herz.

 

Was schlimm ist

Böses zu tun, ohne es zu wissen.
Auf der falschen Fährte zu sein und glauben, im richtigen Licht zu stehen.
Ohne Liebe zu sein. Ein Herz zu haben, aber kein Gefühl.
An nichts zu glauben.
Ein Gehirn zu haben, aber es nicht benutzen: Intelligent zu sein, aber taub.
In einem großen Becken voller Haie zu sein und nicht zu wissen, wohin man schwimmen soll.
In einer Identität gefangen zu sein, die nicht die eigene ist.
Hinunter in die Dunkelheit zu gehen, obwohl man hoch ins Licht gehen könnte.
Etwas falsch zu machen, aber es nicht zuzugeben.
Unhöflich und vulgär zu sein.
Ein Löwe mit dem Herzen einer Gazelle zu sein.
Sehen, hören und sprechen zu können, aber vorzugeben, man sei blind und taubstumm.

 

Jedes Wort auf die Goldwaage legen

Seitdem ich jedes Wort auf die Goldwaage legte, hatte ich keine ruhige Minute mehr!
Abgesehen von alltäglichen Begrüßungsfloskeln wie "Guten Morgen" (0,0231 Gramm bis 80 Gramm, präzise an den Kanten entlang gecuttet) ging es im weiteren Tagesablauf weit weniger gemächlich zu.
Allein die Entscheidungen, die zu treffen waren! Groß- oder Kleinschreibung, fett, kursiv, Helvetica oder Bold Black in 24 Pixel hohen Lettern oder etwa Steno, im 50er-Jahre-Stil einer Sekretärin?
Allein das Wiegen eines Knöllchens inklusive Strich und Komma sowie des amtlichen Stempels mit seiner tückischen Tinte aus Wasserbasis und eigenem Gewichtsmassenwert verlangte anderthalb Tage Arbeit und ein weiteres bewusstes Falschparken zur Erlangung eines Zweitschreibens. Das erste Knöllchen zerschnitt ich leider in so kleine Teile, das ein Windstoß all meine Bemühungen zunichte machte.
Zum Wiegen kam ich nur noch selten. Sobald ein Wort fiel, hatte ich genug Mühen und Kosten, es wieder aufzurichten.
So manches ging also in der Hektik unter - und so mache Unterlassungsklage stand mir ins Haus.
Ach ja, die Goldwaage habe ich nun auch nicht mehr. Ich habe es aufgegeben, jedes Wort auf sie zu legen. Wie auch? Der Gerichtsvollzieher hat das gute Stück mitgenommen.

 

Expertenrunde

Fünf Regeln für das Glück:

1. Geburtstag haben
2. Schokolade trinken
3. Ein paar kleine Wünsche erfüllen
4. Mit einem Reisebus davonfahren
5. Zu zweit einen Weg finden

 

Fotos: aufBruch

Jede Art der Verwendung nur nach vorheriger Genehmigung durch aufBruch

 

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Ort
JVA Moabit
Alt-Moabit 12 A
10559 Berlin

 

Anfahrt: S Bellevue

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