Pressestimmen
Regisseur Peter Atanassow im Gespräch. Interview aus dem Jahr 2007
Herr Atanassow, Sie inszenieren nunmehr seit fünf Jahren in der JVA Tegel. Warum Theater im Gefängnis?
Das Gefängnis ist normalerweise ein abgeschlossener Ort, der nicht zugänglich ist für Leute von außerhalb. Und das Theater hat die Funktion, Räume zu öffnen bzw. Räume zu schaffen, insbesondere einen Raum der Vermittlung. Das kommt an eine sehr ursprüngliche, sehr archaische Aufgabe von Theater oder Kunst generell heran: die Aufgabe der Vermittlung zwischen denen, die nichts haben und denen die alles haben. Im Fall des Theaters in einem Gefängnis ist dies die Vermittlung zwischen denjenigen, die in Freiheit leben und denen, die das nicht tun. Das Theater führt diese beiden Gruppen zusammen.
Und in diesem Jahr „RÄUBER.GÖTZ“ als Freiluftspektakel, um was geht es dabei?
Im „Götz von Berlichingen“ geht es um den klassischen Rebellen, der während eines gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses, nicht zu den Verlieren gehören will. Götz gehörte dem Stand der Reichsritter an, die nicht länger gebraucht wurden und deshalb an den ökonomischen Verteilungsprozessen nicht mehr partizipierten. Der Auslöser hierfür war die grundlegende Veränderung der Kriegsführung des deutschen Reiches, in welche die Reichsritter mit ihren Knappen nicht mehr passten und deshalb gezwungen waren, nach alternativen Überlebensstrategien zu suchen. Diese Alternativen schlossen Raub und Auftragsüberfälle mit ein. Hier sehen wir eine Parallele zur Situation heute: Kriminalität aufgrund des Fehlens einer gesellschaftlichen Perspektive und als Reaktion auf das Überflüssigwerden.
Wie hat man sich die Proben vorzustellen?
Der Probenablauf unserer intensiven Probenphase sieht folgendermaßen aus: Wir beginnen immer mit einer Gesprächsrunde, bei der jeder die Möglichkeit hat, zu Wort zu kommen, wo wichtige Termine und Neuigkeiten besprochen werden, Probleme geklärt oder inhaltliche Fragen gestellt werden können. Darauf folgt ein Bewegungstraining, bei dem die körperlichen Voraussetzungen für die späteren choreografischen Elemente der Inszenierung erarbeitet werden. Dann gibt es eine Sprecheinheit von einer halben Stunde, wo wir Sprache, Stimme und Atmung trainieren. Danach folgt eine Phase mit intensivem Chortraining, was sowohl Sprechchöre als auch Chorgesang beinhaltet. Im Anschluss daran wird dann szenisch gearbeitet und mit dem Ensemble das Stück entwickelt. Unterbrochen wird dieses Probenprogramm von zwei, drei Pausen.
Sie führen Regie und schreiben auch den Stücktext. Mit welchen Überlegungen gehen Sie an die Bearbeitung? Was ist dabei wichtig?
Zum einen ist es wichtig, einen Text zu diesem Stück zu entwickeln, der sich gut sprechen lässt, ohne alltags sprachlich zu sein. Denn Sprache ist auf dem Theater immer eine Kunstform. Zum anderen muss man darauf achten, einen inhaltlichen Bezug herzustellen. Denn es ist ja heute nur bedingt interessant, sich mit der Geschichte eines alten Raubritters auseinanderzusetzen, wenn es uns nicht gelingt, Aspekte in dieser Geschichte zu finden, die uns etwas über unsere Zeit erzählen.
Gerade das ist eine wichtige Herausforderung an das Theater. Es wird viel argumentiert, dass Kriminalität vor allen Dingen mit Trieb und Veranlagung zu tun hat. Kriminalität hat aber meines Erachtens nach auch wesentlich mit handfesten ökonomischen Problemen zu tun. Und Leute im gesellschaftlichen Abseits sind viel eher bereit, sich zu kriminalisieren.
Wie groß sind die Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten der Schauspieler im Verlauf der Proben?
Die Mitspieler können sich mit selbst geschriebenen Texten jederzeit einbringen. Am Anfang geht es darum, jedem der Darsteller das Stück und das Thema nahezu bringen. In diesen Aneignungsprozess durch die Darsteller gehört auch das Verfassen von eigenen Texten, die wir dann sowohl im Stück als auch im Programmheft verwenden können. Das Schreiben ist aber keine Voraussetzung für die Teilnahme am Projekt. Viel wichtiger ist es uns, dass sich die Darsteller mit ihrem persönlichen Engagement in die Arbeit einbringen und somit über ihre physische Präsenz dem Stück eine einmalige Aussagekraft verleihen.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem Ensemble?
Das Entscheidende ist, in den gemeinsamen sieben Wochen Proben aus allen Beteiligten eine Mannschaft zusammenzuschweißen, die tolerant miteinander umgeht und sich gegenseitig motiviert. Das ist uns bisher ganz gut gelungen, obgleich natürlich immer auch Spannungen auftreten, die aber im Team konstruktiv gelöst wurden.
Welches Publikum möchten Sie erreichen?
Uns ist es wichtig, sowohl die Gefangenen in Tegel, seine Angehörigen, Vertreter der Justiz, des Kulturestablishments als auch den interessierten Theaterbesucher zu erreichen. Hier geht es uns um besagten Vermittlungsgedanken, im Rahmen des Theaters Leute unterschiedlichster sozialer und kultureller Schichten zusammenzubringen. Deshalb legen auch einen so großen Wert auf das Publikumsgespräch im Anschluss an jede Vorstellung.
Wie sieht die Zukunft und das Jubiläumsjahr von aufBruch aus? Was haben Sie noch vor?
Erst einmal kümmern wir uns jetzt natürlich mit aller Kraft um die Erarbeitung unserer Open-Air-Inszenierung.
Unser zehnjähriges Jubiläum möchten wir gern am Ende des Sommers mit einer Festveranstaltung innerhalb der Mauern Tegels begehen: für und mit allen Förderern, Unterstützern, Mitarbeitern, Mitspielern, Gefangenen, Exgefangenen und anderweitig Beteiligten an den Projekten der vergangenen zehn Jahre. In Tegel deshalb, weil die Anstalt von Anfang an unsere „Heimatspielstätte“ und das Zentrum unseres künstlerischen Wirkens war und noch immer ist.
Des Weiteren erarbeiten wir im Moment eine bebilderte Chronik zu „Zehn Jahre Gefängnistheater aufBruch“. Ein Buch, das nicht nur die abwechselungsreiche Geschichte unseres Projektes erzählen soll, sondern auch die Prozesse am Rande der Arbeit, Erinnerungen, Dialoge, Einblicke hinter die Mauern und Kulissen geben wird. All die Dinge, die in den Aufführungen selbst keinen Platz fanden, aber diese dennoch maßgeblich prägten. Und dann steht schon die nächste Inszenierung an. Im Herbst zeigen wir im Kultursaal der JVA Tegel „Die Fliegen“ nach Jean Paul Sartre. Der Abend bildet den Auftakt eines Inszenierungs-Zyklus um den Mythos der Atriden, der in 2008 fortgesetzt wird.